Georg Dahm und Denis Dilba haben Großes vor. Ein digitales wöchentliches Wissenschaftsmagazin, das hochwertige Reportagen über Themen bietet, die nicht ohnehin schon durch alle Medien gegangen sind. Für das Projekt haben die beiden Journalisten den wohlklingenden und programmatischen Titel „Substanz“ gewählt. Die Web-App, auf die von jedem Endgerät, auf dem ein aktueller Browser läuft, aus zugegriffen werden kann, wird kostenlos zur Verfügung stehen. In der App wird man die Möglichkeit haben, das Magazin zu abonnieren oder einzelne Ausgaben zu erwerben, zu lesen, anzuschauen oder anzuhören. Denn die Idee ist: Unterschiedliche Darstellungsarten nutzen und mischen – Text, Animationen, Video, Comic – alles ist erlaubt, sofern es der Veranschaulichung eines komplexen Themas dient. Eine Idee, für die das Internet praktisch geschaffen wurde, die so bisher jedoch nicht umgesetzt wurde. Im offenen Debattenbereich werden die User die Möglichkeit haben, sich auszutauschen, nachzufragen, anzumerken. Das ist eine weitere Komponente von „Substanz“, die das Magazin zu einem zeitgemäßen Medium macht.
Um das Magazin, nach ihren Vorstellungen zu gestalten, haben sich Denis Dilba und Georg Dahm auf die Suche nach Kapital via Crowdfunding begeben. Noch bis zum 23. März 2014 kann man die innovative Idee auf Startnext finanziell unterstützen. Wir haben uns mit den beiden Masterminds von „Substanz“ über den Journalismus, ihr Geschäftsmodell und das Crowdfunding unterhalten.
Immer mehr Journalisten streben Verlagsunabhängigkeit an. Warum hat es der Qualitätsjournalismus momentan so schwer?
Georg: Die Verlage haben immer noch keine richtige Antwort auf die digitale Herausforderung gefunden. Sie haben jahrelang auf das Gratis-Prinzip gesetzt und dabei die Pfründe aus den guten Jahren abgeschmolzen. Und da werden auf Dauer natürlich auch die Budgets für anspruchsvollen Journalismus knapp. Das habe ich auch bei der Financial Times Deutschland erlebt, diese Zeitung hat ja nun wirklich alle Katastrophen mitgenommen, von Dotcom-Blase bis Finanzkrise. Da sind die Anzeigenetats kollabiert und es ist nichts Neues nachgekommen. Die alten Geschäftsmodelle funktionieren einfach nicht mehr.
Höre ich Verbitterung heraus?
Georg: Nö.
Denis: Das ist keine Verbitterung – das sind Fakten.
Georg: Das ist einfach so, da muss man gar nicht jammern und wehklagen. Das klang im Dezember 2012, als wir die FTD zu Grabe trugen, oder im April 2013, als den deutschen New Scientist das gleiche Schicksal ereilte, natürlich noch ganz anders. Heute ist unsere Trauer gewichen, uns geht es jetzt darum, neue Wege für den Journalismus zu finden. Man muss das pragmatisch sehen: Das Internet geht ja nicht weg. Die Frage, die wir uns gestellt haben, war also: Wie kann hier geiler Journalismus funktionieren? „Substanz“ ist unsere Antwort darauf. Bei uns herrscht daher jetzt Aufbruchsstimmung.
Was können Sie den Verlagen aufgrund Ihrer langjährigen Erfahrung empfehlen?
Georg: Ich glaube, die Verlage sollten Freiräume für Experimente schaffen. Neue Ideen zulassen – auch und gerade wenn es dazu noch keine Marktstudien gibt. Ihr habt die guten Leute – gebt denen Geld, Programmierer und einen Raum und lasst sie einfach mal machen! Das Internet ist doch nicht die finstere Bedrohung, das ist eine Spielwiese, die uns ganz neue Möglichkeiten bietet. Probiert es doch einfach mal aus! Mehr Freidrehen ist angesagt! Narrenfreiheit!
Und wie genau sieht Ihr Freidrehen aus?
Georg: Wir probieren zunächst einmal eine neue Art des Medien-Launches aus. Mit einer klar umrissenen Zielgruppe, mit einem eigenen Ansatz – und mit relativ überschaubaren Mitteln. Jedenfalls im Vergleich zu den Budgets, die große Verlage für ihre Markteinführungen haben. Wir müssen ja auch kein Geld investieren, um am Kiosk präsent zu sein, weil wir ein digitales Magazin machen.
Denis: Unser Vorteil ist auch: Wir sind ein Startup. Wir können schnell und flexibel entscheiden und handeln, niemand sagt uns, was wir zu tun oder zu lassen haben. Auf der anderen Seite müssen wir die Verantwortung selbst tragen. Aber keinen Verlagschef über uns zu haben, ist schon ziemlich klasse.
Georg: Wir sind in unserem Berufsleben an einem Punkt, an dem wir so viele Erfahrungen gesammelt haben, dass sich die Gründung von „Substanz“ geradezu aufgedrängt hat. Wir wollen uns austoben und unsere Idee so umsetzen, wie wir es uns vorstellen. Natürlich sind wir nicht beratungsresistent, aber wir müssen uns nicht mehr vorschreiben lassen, dass irgendwas angeblich nicht geht.
Dann wird es aber vermutlich das Geld sein, das darüber entscheidet, was nicht geht. Welche Finanzierungsarten haben Sie für „Substanz“ bereits erwogen?
Georg: Alle! Crowdfunding ist nur ein Baustein unserer Finanzierung. Unser Fundingziel liegt bei 30.000 Euro, der Finanzierungsbedarf für den Dauerbetrieb von „Substanz“ ist aber höher. Dieses Geld werden wir unter anderem durch Kredite abdecken, wir sprechen aber natürlich auch mit potenziellen Investoren.
Denis: Das Tolle beim Crowdfunding ist ja, dass es deutlich mehr kann als nur Geld reinzuholen. Es ist zum einen eine gute Möglichkeit, sich bekannter zu machen, vor allem, wenn man nicht über große Marketingetats verfügt. Zum anderen ist Crowdfunding ein Seismograf, der uns zeigt, wie das Publikum auf unsere Idee reagiert – und es reagiert momentan sehr positiv. Und Crowdfunding erhöht unsere Eigenkapitalquote, was bei Bankgesprächen generell sehr hilfreich ist.
Und warum haben Sie sich für Startnext entschieden?
Georg: Uns war es wichtig, dass es eine deutsche Crowdfunding-Plattform ist, weil wir ein explizit deutschsprachiges Medium machen und entsprechend eine deutschsprachige Community brauchen. Eigentlich fühlen wir uns Krautreporter viel näher, da laufen großartige journalistische Projekte. Startnext ist thematisch viel breiter gefächert – also ist da auch das Publikum viel unberechenbarer, dem wollten wir uns bewusst aussetzen. Außerdem hat Startnext sehr interessante Partnerplattformen wie Nordstarter und Sciencestarter, die unsere Kampagne bei sich gespiegelt haben.
Welche Kanäle nutzen Sie, um Förderer anzulocken?
Denis: Erst mal setzen wir natürlich auf soziale Medien, wir aktivieren auch unsere privaten und beruflichen Netzwerke. Wir sind persönlich viel präsent, bei Multiplikatoren und auf Fachveranstaltungen. Und wir sprechen systematisch verschiedene Zielgruppen an, zum Beispiel Lehrer und Schüler in den MINT-Fächern. Da sind wir unter anderem in der Fachzeitschrift MINT-Zirkel präsent.
Womit – außer mit Geld – kann man Ihnen noch helfen?
Georg: Wir sind immer auf der Suche nach guten Autoren. Leute, die gut schreiben können, die das Magazinhandwerk beherrschen, die Wissenschaftsthemen gut umsetzen können – und die tolle Ideen haben. Nicht nur inhaltlich, sondern auch in Bezug auf die multimediale Umsetzung.
Denis: Uns mündlich weiterzuempfehlen, schadet auch nicht. Und langfristig: Viele, viele „Substanz“-Abonnements abschließen.
Was halten Sie von Kooperationen und Werbepartnern?
Georg: Wir werden Werbung haben, die muss sich aber dezent in das Gesamt-Layout einfügen. Das wird eher einer klassischen Print-Anzeige ähneln als diesen kranken Werberbannern, die sich wild blinkend über den Bildschirm legen. Es muss ästhetisch sein, das ist letztlich auch besser für den Anzeigenkunden. Was uns ganz wichtig ist: Die redaktionelle Unabhängigkeit ist heilig. Manche finden es heikel, dass wir beiden sowohl für das Redaktionelle als auch für das Geschäftliche verantwortlich sind. Wir sehen uns da in der klassischen Position des guten Verlegers: Wir wollen guten Journalismus wirtschaftlich tragfähig machen. Unser Job ist es, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für diesen Journalismus zu schaffen, und den Autoren und uns selbst den Rücken freizuhalten. Das heißt: Niemand – kein Kooperations- oder Werbepartner – soll jemals redaktionellen Einfluss auf „Substanz“ bekommen.
Sollte das Funding klappen, ab wann wird man die ersten Geschichten herunterladen können?
Georg: Das Wichtigste: Die Technik muss funktionieren. Da wir sehr von der Programmierung abhängig sind, sind wir mit genauen Launch-Terminen noch ein bisschen vorsichtig. Wir wollen aber noch im ersten Halbjahr 2014 an den Start gehen.
Wir danken Ihnen für das Interview und wünschen ganz viel Erfolg mit „Substanz“!
Weitere Informationen: „Substanz“ bei Startnext, Fail Better Media GmbH.
Bilder: Fail Better Media GmbH