Dr. Michael Gebert gehört zu Deutschlands führenden Crowdsourcing-Experten: Er ist Vorstand und Gründungsmitglied des Crowdsourcing Verbandes, berufenes Mitglied in der Crowdfunding Stakeholder Gruppe der EU Kommission, Mitinitiator für den Zertifizierungslehrgang Crowdfunding-Manager IHK und Trainer des Kurses in München, Mitautor verschiedener Crowdsourcing- und Crowdfunding-Studien und Initiator und Produzent der größten deutschsprachigen Crowdsourcing-, Crowdfunding- und Crowdinnovation-Konferenz, dem CROWD DIALOG … um nur einen Teil seiner Positionen und Tätigkeiten zu nennen.
Zwei Jahre nach unserem ersten Interview mit Dr. Michael Gebert haben wir ihn zur aktuellen und zukünftigen Entwicklung von Crowdsourcing und Crowdfunding in Deutschland befragt:
Herr Dr. Gebert, mit Ihrem Beratungsunternehmen marketing society unterstützen Sie Unternehmen bei Finanzierungs- und Marketingmaßnahmen. Wann haben Sie im Rahmen dieser Tätigkeit erstmalig Crowdfunding– und Crowdsourcing-Anfragen erhalten und wie hat sich die Nachfrage seither verändert?
Dr. Michael Gebert: Nach dem ersten Crowd Dialog 2013 werden besonders bei den Entscheidungsträgern des Mittelstands CrowdFunding und CrowdSourcing immer häufiger diskutiert; auch begleitet durch die medial stärkere Präsenz und Reflektion des Themas. Im Kontext schwieriger Finanzierungsentscheidungen durch bestehende Stakeholder wie zum Beispiel Banken, werden crowd-basierte Finanzierungsszenarien auch für den Mittelstand immer interessanter. Beim CrowdSourcing geht es um nicht weniger als die Neuinterpretation von Arbeit und die Suche sowie vor allem Bindung von Talenten. Für Personalentscheider wird der Schwarm zur erweiterten Arbeits- und Wissensbasis – für Unternehmenslenker zum Gradmesser von Innovation gemessen am Innovationsgrad der Mitarbeiterschaft.
Crowdsourcing ist ein sehr weites Feld. Was fällt alles unter den Begriff Crowdsourcing und wie nutzen Unternehmen Crowdsourcing bislang?
MG: CrowdSourcing hat in der wissenschaftlichen Literatur bislang bereits über 38 unterschiedliche, teilweise sehr facettenreiche Definitionen. Persönlich empfinde ich die Urdefinintion von Jeff Howe aus dem Jahr 2010 am passendsten. Abgeleitet von Outsourcing, Open Innovation und Schwarmintelligenz spricht Howe von einer globalen, undefinierten und heterogenen Gruppe von Personen, die zeitlich unabhängig gemeinsam an einer uniquen Zielvereinbarung agieren. Thematisch fällt unter CrowdSourcing auch CrowdFunding, CrowdInnovation und CrowdWisdom.
Unternehmen nutzen CrowdSourcing aktuell vor allem für leicht zu definierende Aufgaben. Diese können durch den Schwarm meist schneller und günstiger gelöst werden. Der Trend geht aber zu komplexeren Aufgaben, bei dem die Crowd durch kollektive Innovation und als Ideentaktgeber mitwirken kann.
Der Münchner IHK-Kurs Crowdfunding-Manager ist gerade in die zweite Runde gestartet, und Sie geben als Trainer Ihr Wissen und Ihre Erfahrungen weiter. Was erwartet die Teilnehmer und was erhoffen Sie sich vom Anbieten dieses Kurses?
MG: Der IHK-Kurs ist als 8-tägiger Wissens- und Praxisworkshop angelegt; mit einer maximalen Teilnehmerzahl von 10 Personen. Nach dem erfolgreichen IHK-Kurs in Berlin ist in München spannenderweise ein komplett anderes Teilnehmerfeld am Start. Neben einem Altersspektrum von Mitte 20 bis Mitte 60 sind es vor allem Personen mit vielen Jahren bis Jahrzehnten an Berufserfahrung, die mit tollen Ideen bereits seit langer Zeit schwanger gehen und CrowdFunding als eine alternative Form der Mitfinanzierung für sich entdecken wollen. Der Kurs wird flankiert von Expertengesprächen und Gastdozenten zum Thema Recht, Big Data und Hybridfinanzierung, um ein möglichst umfassendes Wissensfundament für die Teilnehmer zu legen. Zum Abschluss gibt es eine praktische und theoretische Prüfung, die nach erfolgreichem Abschluss zum IHK-Zertifikat führt.
Eine vom Düsseldorfer Beratungsunternehmen Barkow Consulting durchgeführte Studie bescheinigt dem deutschen Crowdfunding-Markt Stagnation. Würden Sie dieses Ergebnis bestätigen?
MG: Für die Interpretation von Studien jeglicher Art ist immer wichtig, die Intention des Auftraggebers der Studie zu kennen. Bei der von Ihnen erwähnten Studie handelt es sich dabei um ein Unternehmen, welches seinen Hauptumsatz mit der Beratung traditioneller Bankprodukte macht. Insofern schwingt in der Schlussfolgerung dieser Studie eine gewisse besitzstandswahrende Attitüde mit. Grundsätzlich ist dem Phänomen CrowdFunding alles andere als ein Stillstand zu bescheinigen, dennoch ist eine Konsolidierung der Marktteilnehmer (Intermediäre) und Professionalisierung der Branche in vollem Gange.
Was halten Sie von der Novelle des Kleinanlegerschutz-Gesetzes in Bezug auf den Crowdinvesting-Markt?
MG: Leider ist Deutschland ein wiederholtes Mal besonders gründlich, wenn es darum geht den Bürger schützen zu wollen, ihm dabei aber gleichzeitig die Möglichkeiten des freien Handelns entzieht und komplexe Vorschriften entwirft. Besonders das geplante realitätsferne Werbeverbot in sozialen Medien für CrowdFunding-Projekte spiegelt den Stand der digitalen Agenda und das dramatische Unverständnis für die Mediengesellschaft unserer Zeit in den Köpfen einiger politischer Leistungsträger wieder. Es ist zu hoffen, dass sich die Entscheider an den durchaus positiven Tendenzen und Gesetzentwürfen anderer europäischer Länder, wie zum Beispiel England oder Frankreich, inspirieren lassen.
Jedes Jahr im November findet der CROWD DIALOG statt. Welches Ziel und welche Vision verfolgen Sie mit dieser Veranstaltung?
MG: Der Crowd Dialog hat den Anspruch, Entscheider aus den Stakeholder-Gruppen Praxis, Wissenschaft und Politik zum konstruktiven Austausch einzuladen. Die zu diskutierenden Themenbereiche sind dabei CrowdSourcing, CrowdInnovation und CrowdFunding – immer aus der Perspektive der professionellen Anwendung und Anwendbarkeit für Industrie und den Mittelstand. Für den erfolgreichen Gebrauch und die Prüfung von möglichen Nutzungsszenarien im professionellen Umfeld ist der frühzeitige und konstante Dialog dieser Stakeholder-Gruppen von extrem hoher Bedeutung. Die Vision oder das Ziel des Crowd Dialog ist einen jährlichen Fixpunkt für den Austausch und Inspiration zu schwarmbasierten Disruptionsthemen zu schaffen.
Wie prognostizieren Sie die Entwicklung von Reward-based- und Equity-based Crowdfunding sowie Crowdlending innerhalb der kommenden fünf Jahre?
MG: Ein Versuch die Anzahl der Investments vorherzusagen wird immer scheitern. Aktuell liegt die durchschnittliche Erfolgsquote im weltweiten Vergleich aller Projekte für CrowdFunding bei unter 16 %. Diese Zahl wird sich im Rahmen der Professionalisierung zu Gunsten erfolgreicher Projekte verbessern. Crowdlending wird rasant wachsen und auch für den Mittelstand an Bedeutung gewinnen. Die Entwicklung aller equity-basierten Finanzierungskonzepte wird stark von der Art der Regulierung abhängen und im Zweifel europaweite grenzüberschreitende Lösungen einfordern. Bei reward-basierten Konzepten werden europäische und länderspezifische Lösungsanbieter den bislang dominanten, meist amerikanischen Anbietern Konkurrenz machen und branchen- sowie ultra-lokale Lösungscluster anbieten.
Herr Dr. Gebert, vielen Dank für das Interview!
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