Krautreporter ermöglicht Journalisten, ihre Projekte mittels der Crowd umzusetzen. Reporter stellen ihre Idee vor und bitten um Finanzierung. Knapp 170.000 Euro verteilt auf 40 Projekte konnte die Plattform innerhalb nur eines Jahres einsammeln. Mit einer Erfolgsquote von etwa 70% steht Krautreporter auch im Vergleich zu anderen Crowdfunding-Plattformen gut da. Wir haben mit dem Journalisten und Gründer von Krautreporter, Sebastian Esser, über Crowdfunding im Journalismus gesprochen.
Herr Esser, dank Ihrer Website konnte die beeindruckende Multimedia-Reportage „Haiti – Wo sind unsere Hilfsgelder?“ finanziert werden. Bei einem so brisanten Thema, das theoretisch viele interessieren müsste, stellt sich die Frage: Scheuen sich etablierte Medien vor neuen Formaten oder kritischen Themen?
Für die meisten Medien lohnen sich solche Geschichten nicht, denn Online-Werbung wirft nicht genug ab, um jemanden für ein paar Wochen nach Haiti zu schicken. Die Printausgaben der großen Wochenmagazine könnten es sich leisten, die Online-Ausgaben nicht. Viele Journalisten, die eine gute Geschichte haben, und intensiv recherchieren möchten, finden keine Abnehmer mehr. Diesen Journalisten bieten wir eine Plattform. Damit diese spannenden Geschichten entstehen, springt bei uns die Crowd ein.
Verlangt man nicht zu viel von einem Journalisten, wenn er Zielgruppenanalysen und Businesspläne erstellen muss, bevor er sich seiner eigentlichen Arbeit widmen kann?
Es gibt ganz viele Journalisten, die das nicht wollen, aber die kommen eben nicht zu Krautreporter. Natürlich bedeutet ein Crowdfunding Aufwand. Aber dafür bekommt man auch Geld. Die meisten Journalisten haben sich schon bisher Gedanken darüber gemacht, wer ihre Zielgruppe ist, um ihre Texte den Redaktionen anzubieten.
Wann kommen Journalisten zu Ihnen? Also bei wie vielen Redaktionen haben die Journalisten ihr Exposé bereits eingereicht, bevor sie eine Finanzierung über Crowdfunding versuchen? Oder ist das Crowdfunding gar nicht die letzte Option?
Bei vielen Projekten auf Krautreporter würde einem gar nicht einfallen, in welchem Medium sie erscheinen könnten. Das liegt oft an dem Format, das in den bestehenden Medien nicht funktionieren würde. Die Journalisten wollen ihre Geschichte genau so machen, wie sie sie machen wollen. Sie wollen niemanden, der zwischen ihnen und den Lesern steht. Und sie wollen den direkten Kontakt zu den Lesern. Denn das Geld ist nicht das einzige, womit die Crowd die Journalisten unterstützt, sondern auch mit Informationen und Kontakten. Crowdfunding kann daher auch ein Weg sein, sich seine Leserschaft zusammenzusuchen.
Ist von der Crowd finanzierter Online-Journalismus die Zukunft? Entscheidet nun die Masse, worüber berichtet wird?
Krautreporter gibt es nun seit einem Jahr. Journalismus-Crowdfunding ist also nicht Zukunft, sondern Gegenwart. Ich glaube, dass die Leser künftig den Journalismus häufiger direkt finanzieren und die Werbung dann hoffentlich eine weniger große Rolle spielen wird. Der direkte Austausch zwischen dem Reporter und dem Leser wird wichtiger. Insofern ist das Crowdfunding, wie wir es bei Krautreporter betreiben, nur der Anfang einer Entwicklung – ohne dass ich genau sagen kann, wie es weitergehen wird. Es ist natürlich nicht die einzige Zukunft. Es ist ein Experiment, das ganz gut klappt, aber nichts für die große Masse ist.
Heißt das, die Verlage müssen sich keine Sorgen machen?
Doch! Die Verlage müssen sich große Sorgen machen, denn ihr Geschäftsmodell funktioniert dauerhaft nicht mehr. Leider kann Crowdfunding nicht die Einnahmen der vergangenen Jahrzehnte zurückbringen. Für die Verlage mit ihren Milliardenumsätzen ist es also bestimmt nicht die Lösung.
Wie gefragt ist denn investigativer Journalismus Ihrer Erfahrung nach noch? Hat er im Netz überhaupt eine Chance? Lange Reportagen im Allgemeinen – wenn man bedenkt, dass die durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne bei 8 Sekunden liegt?
Die Kollegen bei den großen journalistischen Online-Seiten sagen, dass die Leute gern lange Texte lesen. Dass es nicht so viele von diesen Texten gibt, liegt eher daran, dass man sie schlecht vermarkten kann. An einen langen Text kann man genau eine Anzeige kleben, während man bei fünf kurzen Texten fünf Anzeigen verkaufen kann. Deswegen hat das weniger mit dem Leseverhalten zu tun, sondern eher mit der Finanzierungsform des Journalismus. Was den investigativen Journalismus angeht: Dem geht es besser als je zuvor. Es gab in den letzten Jahren einen großen Boom der Rechercheabteilungen. Das hat damit zu tun, dass die Wettbewerbssituation bei den Zeitungen sich zuspitzt. Sie müssen an Geschichten kommen, die interessant sind, und investieren daher in den investigativen Journalismus. Es ist eine weitverbreitete Fehlwahrnehmung, dass der investigative Journalismus besonders gefährdet ist. Andererseits ist er natürlich auch besonders teuer. Das heißt, wenn es der ganzen Zeitung an den Kragen geht, wie es ja schon bei vielen Zeitungen der Fall ist, dann wird auch dieser Journalismus leiden.
Mussten Sie ein Projekt schon mal ablehnen?
Wir haben einen Qualitätsfilter, der relativ häufig einsetzt. Etwa die Hälfte der Projekte mussten wir bisher ablehnen. Beim Krautreporter geht es um professionellen Journalismus. Wir wollen Texte von Profis, von Leuten, die diesen Beruf gelernt haben. Ab und zu haben wir Leute mit guten Ideen, die nicht journalistisch sind. Und die verweise ich dann auf andere Crowdfunding-Seiten.
Was wünschen Sie sich für die Plattform?
Ich bin bisher zufrieden und würde es mir wünschen, dass es sich weiterentwickelt. Es ist für mich kein finanziell lohnendes Projekt, sondern eher ein Experiment. Ich würde mir wünschen, dass die Kollegen Crowdfunding für sich selbst stärker nutzen – auch unabhängig von Krautreporter. Zum Beispiel könnten Zeitungen ihre eigenen Crowdfunding-Plattformen initiieren, Journalisten könnten Crowdfundings auf ihren eigenen Webseiten starten, neue Zeitungen könnten Abo-Vermarktung über Crowdfunding betreiben. Das bietet sich alles an und funktioniert wunderbar, allerdings sind die Leute bisher nicht sonderlich kreativ in diesem Bereich. Wir freuen uns auch immer über neue Projekte – wenn also ein Journalist eine Idee hat, für die bislang die Zeit oder das Geld gefehlt haben, ist er bei uns gern willkommen.
Vielen Dank für das Gespräch und weiterhin ganz viel Erfolg mit dem Krautreporter!
Weitere Informationen: Krautreporter.de, Website von Sebastian Esser, Sebastian Esser auf Twitter.
Bilder: Krautreporter GmbH